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Im Gebiet des Sicherheits- und Polizeirecht können Beiträge manchmal schnell an Aktualität verlieren. Damit sie immerhin noch auffindbar bleiben, haben wir das "Archiv" geschaffen.

 

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Das Bundesgericht korrigiert die Verweigerung einer nachträglichen Untersuchung nach einer behaupteten Misshandlung in Polizeigewahrsam

Im Urteil 1B_10/2012 vom 29. März 2012 heisst das Bundesgericht die Beschwerde eines jungen
Mannes gut, die gegen einen Beschluss des Obergerichtes Luzern, mit dem dieses einen
Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft im Hauptpunkt bestätigte, gerichtet war.
Der junge Mann beanstandete, dass er am frühen Morgen des 13. Januars 2001 in gesundheitlich
schlechter Verfassung die Polizei um Hilfe gebeten, diese ihn aber mit Handschellen gefesselt auf den
Polizeiposten Luzern verbracht habe anstatt einen Arzt zu rufen. Auf dem Polizeiposten sei ihm - unter
Schmerzen, Benommenheit und Atemnot leidend - befohlen worden, mit auf dem Rücken gefesselten
Händen eine steile Aussentreppe zur Gefängniszelle hinunter zu gehen. Dabei sei er, nachdem ihn ein
Polizist leicht geschubst habe, gestürzt und mit dem Kopf am unteren Ende der Treppe aufgeprallt und
bewusstlos liegen geblieben. Beim anschliessenden Spitalaufenthalt sei eine klaffende Kopfwunde
genäht und eine Computertomographie des Kopfs durchgeführt worden. Auch während der ärztlichen
Versorgung seien seine Hände auf dem Rücken gefesselt gewesen (Urteil, Ziff. 1.2.2).


Die Staatsanwaltschaft hat das in der Strafanzeige geschilderte Geschehen nach dem Urteilstext (Ziff.
2) nur sehr oberflächlich „untersucht“ und in der Einstellungsverfügung auch nicht dargelegt, welche
Untersuchungen überhaupt vorgenommen worden seien. Das Obergericht seinerseits hat die
Einstellungsverfügung inhaltlich nicht überprüft.


Wer in vertretbarer Weise vorbringt, er oder sie sei von einer Behörde unmenschlich oder erniedrigend
behandelt worden, hat Anspruch auf eine eingehende, von einer unabhängigen Instanz durchgeführten
Untersuchung (Art. 10 Abs. 2 BV/Art. 3 und 13 EMRK/Art. 7 UNO Pakt II/Art. 13 der
Folterkonvention (SR 0.105). Vgl. BGE 131 I 455.


Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR muss die Untersuchung „effektiv“, d.h. geeignet sein,
das Vorgefallene genau zu eruieren und die verantwortlichen Personen zu identifizieren. Kriterium ist
nicht der Untersuchungserfolg, sondern das Bemühen, d.h der Aufwand, die eingesetzten Mittel und
Methoden (MOHLER, Grundzüge des Polizeirechts in der Schweiz, Rz. 313 ff. m.w.N).


Die Untersuchungsorgane müssen „objektiv“ unabhängig sein; es darf keine institutionelle oder
hierarchische Verbindung zwischen den Untersuchten und den Untersuchenden bestehen. Zudem
müssen die Untersuchungsorgane auch der „praktischen“ bzw. „subjektiven“ Unabhängigkeit
genügen. Diese wird vom EGMR schon bezweifelt, wenn zwischen der die Untersuchung leitenden
Staatsanwaltschaft und der zur Untersuchung Anlass gebenden Polizei nahe Arbeitsbeziehungen
bestehen (MOHLER, a.a.O., 319 f. m.w.N.)


Vgl. zu den Anforderungen des EGMR jüngst: Buloten v. Slovenia, No. 41356/08., Urteil v. 26. April
2012, §§ 74 ff.


Gleiches gilt übrigens bei Todesfällen, Körperverletzung oder auch Verletzungen der
Privatsphäre in einem Sonderstatusverhältnis.

Die Bewältigung von Demonstrationen stellt nicht nur in Bezug auf den Datenschutz eine dornenvolle Aufgabe dar

Zur Bewältigung einer Anti-WEF-Demonstration im Januar 2008 in Basel, der in diesem Kontext verschiedene erhebliche Sachbeschädigungen in der Region vorausgegangen waren, wurde viele Leute angehaten und in Sammelarrestlokale verbracht. Die Rechtmässigkeit des Vorgehens stand augenblicklich in Frage. Der Vorsteher des zuständigen Departementes ordnete zunächst eine Administrativuntersuchung an. Gestützt auf deren Ergebnisse analysierte eine Arbeitsgruppe die einzelnen Vorkommnise phasenweise und legte am 8. Dezember 2008 einen Bericht mit Empfehlungen vor.

Baustellen im Sicherheits- und Polizeirecht

Das Sicherheits- und Polizeirecht zeichnet sich in letzter Zeit vermehrt dadurch aus, dass ganze Erlasse oder einzelne Bestimmungen mit Vorgaben der Bundesverfassung nicht übereinstimmen. In einem Bereich wird in der Praxis durch Verwaltungsvereinbarungen auch direkt gegen das Gesetz, auf welches die Vereinbarungen gestützt sein sollen, verstossen.

Teilweise mangelt es dem Bundesgesetzgeber an der (Verbands-) Kompetenz zur Legiferierung. Mehrfach werden Regelungen, die zu schwerwiegenden Einschränkungen von Grundrechten führen können, entgegen Art. 36 Abs. 1 BV bloss in Verordnungsbestimmungen untergebracht (z.B. Verordnung über die Wahrung der Lufthoheit)  - oder in Verordnungen der (materiell-rechtliche) Gesetzesvorbehalt nicht genügend beachtet.

Unklar ist häufig der Rechtsweg für Beschwerden, insbesondere gegen Realakte, wenn Organe des Bundes im kantonalen Polizeibereich tätig werden (Grenzwachtkorps; Assistenzdienst von Truppen der Armee) oder generell im Zusammenhang mit den Sicherheitsorganen der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (BGST).

Schliesslich findet sich auf Gesetzesebene keine Umsetzung des Anspruchs auf unmittelbare richterliche Prüfung eines Freiheitsentzuges, der nicht durch ein justizielles Organ angeordnet worden ist (Art. 31 Abs. 4 BV).

Finaler Rettungsschuss

Die Terroranschläge in Paris haben Fragen nach der Rolle des Staats aufgeworfen: Darf er gezielt töten? Wann und wie? Ein konkreter Fall aus der Schweiz gibt Aufschluss, doch er hat keine globale Gültigkeit. Sogar in Europa verschiebt sich zurzeit die Rechtslage.

Beitrag der Wochenzeitung (WOZ) zum Finalen Rettungsschuss in der Schweiz mit Hinweisen von Dr. Markus H.F. Mohler.

Polizeiliche Grosskontrolle nach FCZ Fanmarsch

Vor Zürcher Fussball-Derbys gehören Fanmärsche mit Pyros zur Tradition. Normalerweise werden sie von der Polizei toleriert; am Samstag ging sie jedoch gegen FCZ-Fans vor. Aus dem Umfeld des Clubs wird heftige Kritik laut.

Beitrag des Onlineportals WATSON:CH zur Einkesselung und anschliessenden Kontrolle von 800 Personen.

Die Stadtpolizei wies auf das Abfackeln von "Pyros" und anderen, teilweise als Sprengstoffe geltenden Materialien sowie auf Angriffe auf die Polizei hin.

Die "Südkurve" (FCZ Fans) weist darauf hin, dass man sich "im Rahmen" verhalten habe und findet das Vorgehen unverhältnismässig.

Revision Ordnungsbussengesetz

Dem Parlament liegt ein Vorschlag für die Revision des Ordnungsbussengesetzes vor. Anders als bis heute sollen Ordnungsbussen nicht nur für geringfügige Übertretungen nach Strassenverkehrsrecht und einige Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetzes auferlegt werden können, sondern auch für Übertretungen nach 16 weiteren Spezialgesetzen des Bundes, die durch die Kantone zu vollziehen sind. Ausserdem sind Zwangsmassnahmen (Sicherstellung und Einziehung gemäss Art. 69 f. StGB) vorgesehen. Dieser Revisionsvorschlag widerspricht übergeordnetem Recht in mehrfacher Beziehung, wie eine kurze Analyse von Markus Mohler zeigt.

Tour de France: «Fremde Polizei» in Bern

Wie "Der Bund" in seiner Ausgabe vom 1. April 2016 schreibt, wird die Garde Républicaine die Berner Polizei bei der Tour de France unterstützen, wenn der Radzirkus in der Schweiz gastiert.

Die Schweiz hat mit allen Nachbarländern sog. "Polizeiverträge" abgeschlossen, worin die Zusammenarbeit der Polizeibehörden geregelt wird. Ein solcher Polizeivertrag ist auch das Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen vom 9. Oktober 2007.

Das Abkommen sieht in Art. 16 die gegenseitige Hilfeleistung bei Grossereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen vor. Nach Abs. 1 Bst. c können die Vertragsparteien einander unterstützen, indem sie

"auf Ersuchen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet das Ereignis oder die Situation eintritt, soweit möglich, durch Entsendung von Spezialeinheiten, Ordnungseinheiten, Spezialisten und Beratern sowie durch Zurverfügungstellung von Ausrüstungsgegenständen Hilfe leisten."

Der Halt der Tour de France in Bern ist ein Grossereignis. Die Garde Républicaine ist eine Spezialeinheit. Sie begleitet die Tour auch in Frankreich und dient allgemein der Begleitung solcher "Trosse" (in der Regel Staatsgäste).

Die hilfeleistenden "fremden" Polizeibeamten sind sowohl uniformiert als auch bewaffnet. Zulässig ist dies, weil der Polizeivertrag es so regelt (lex specialis, z.B. gegenüber dem Waffengesetz) - mit einer wichtigen Einschränkung bezüglich Schusswaffen: Die ausländischen Polizeibeamten dürfen solche nur in Notwehr benutzen.

Art. 40 Uniformen und Dienstwaffen
1. Beamte einer Vertragspartei, die gestützt auf dieses Abkommen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei im Einsatz stehen, sind ermächtigt, ihre Uniform zu tragen und ihre Dienstwaffe oder sonstige von der nationalen Gesetzgebung zugelassene Zwangsmittel mitzuführen, es sei denn, die andere Vertragspartei teilt mit, dass sie dies nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zulässt.
2. Diese Beamten dürfen ihre Schusswaffen nur in Notwehr benutzen.
3. Die zuständigen Dienststellen tauschen entsprechende Informationen über Dienstwaffen und die verwendeten Zwangsmittel aus.

Wichtig ist indes, dass für den Einsatz ausländischer Polizeikräfte in der Schweiz das jeweilige (territoriale) Polizeirecht gilt, hier das bernische Polizeigesetz. Der Einsatz der ausländischen Kollegen ist zudem bei der Einsatzplanung und -Führung zu berücksichtigen (Einsatz als Spezialisten). Bei Personalknappheit im eigenen Polizeikorps könnte die Berner Polizei im Übrigen auch Hilfe innerhalb des Polizeikonkordats anfordern. Dies insbesondere, wenn aufgrund eines besonderen Risikos von einem erhöhten Bedarf an Interventionen auszugehen wäre. Sprich die Gardes Républicaines dürften nicht für "Ordnungsdienst" eingesetzt werden - wozu sie im Übrigen mit ihrer Ausrüstung und mit ihren Motorrädern auch nicht geeignet sind. Ebenso wäre es unzulässig, sie bewusst in Notwehrsituationen kommen zu lassen.

(Reto Müller, 1. April 2016)

Bundesgericht entscheidet im Fall Google Street View

Das BGer hat die Beschwerde von Google teilweise gutgeheissen, indem es im Gegensatz zum BVGer nicht mehr die vollständige Anonymisierung von Gesichtern und Fahrzeugkennzeichen verlangt. Im sensiblen örtlichen Bereich von Gefängnissen, Gerichten, Frauenhäusern, Kirchen etc. muss dagegen von Google vor der Aufschaltung eine vollständige Anonymisierung gewährleistet werden. Ebenso dürfen Aufnahmen, die aus einer Kamerahöhe von mehr als 2 m auf den privat umfriedeten Bereich gemacht wurden, ohne Zustimmung der Betroffenen nicht in Google Street View veröffentlich werden.

DNA-Proben nach Sitzdemo in Bern

Anlässlich der "Miss Schweiz" Wahlen 2014 ist es in Bern zu einer Sitzdemonstration gekommen. Die Demonstranten protestierten gegen Sexismus, sie verfolgten mit ihrer Aktion also einen kommunikativen Zweck, welche insofern unter dem grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit steht.

Bei der Sitzdemonstration sei auch ein Polizeieinsatz behindert worden. Beamte seien an Amtshandlungen gehindert worden. Daher wurden Teilnehmende an der Sitzdemonstration mit Verfügung aufgefordert, DNA-Proben abzugeben.

Art. 255 StPO lässt dieses Mittel bei "Verbrechen und Vergehen" grundsätzlich zu. Auf dieser formell-gesetzlichen Basis sind DNA-Proben in einem weiten Bereich möglich. Doch stellen sich (grundrechtliche) Verhältnismässigkeitsfragen - insbesondere bezüglich der Erforderlichkeit sowie bezüglich der Zumutbarkeit der Massnahme.

"Blick" vom 30. Oktober 2014, S. 2

Abbau des Rechtsstaates von oben

Anmerkungen zur jüngsten Entwicklung im Steuerstreit mit den USA (auf Grund von Artikeln im Tagesanzeiger vom 14. und der NZZ vom 18. April 2012 und weiteren Meldungen dazu in der NZZ v. 27. Juli, 7. August 2012 und in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 30. Juli 2012)

Nachrichtendienst des Bundes

Bild: Dike Verlag

Besprechung der Dissertation von Tatjana Rothenbühler

Völkerrechtliche Aspekte nachrichtendienstlicher Tätigkeit: Am Beispiel der mit dem Ausland betrauten Dienststellen des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Diss. Freiburg 2011, Zürich/St.Gallen 2012.

Rezension von Reto Müller, erschienen in Sicherheit & Recht, 2013, Nr. 1.

Siehe auch: Staatsschutz braucht klare Regelungen

Die föderalistische Teilung von operationellen und Kontrollaufgaben gemäss BWIS bereitet nach wie vor erhelbliche Schwierigkeiten. Unklare, ja teilweise wiedersprüchliche Bestimmungen führen zu einem Defizit punkto Föderalismus, Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Digma 2009.

Ungenügende Polizeibestände in der Schweiz

Dass in der Schweiz die Polizeibestände gesamthaft zu tief sind und für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im erwarteten Mass nicht zu genügen vermögen, wurde vor zehn Jahren zwischen den Kantonen und dem Bund letztmals einvernehmlich festgestellt (USIS). Damals wurde die Anzahl der fehlenden Polizeiangehörigen auf 1600 beziffert. Seither ist nicht nur die Bevölkerung in der Schweiz um rund 10% gewachsen, auch die Anforderungen an die Polizeidienste haben qualitativ und quantitativ stark zugenommen (neue Straftatbestände, Zunahme bestimmter Deliktskategorien, strengere Verfahrensregeln). Diesen neuen Verhältnissen wurde durch entsprechende Bestandeserhöhungen kaum Rechnung getragen.

Um Spitzenbelastungen zu bewältigen, wurden und werden oft Truppen der Armee für subsidiäre Sicherheitseinsätze zugezogen, was indessen den diesbezüglichen Bestimmungen der Bundesverfassung nicht entspricht. Auch hat die Eidg. Zollverwaltung mit verschiedenen Grenz- und Nicht-Grenzkantonen Vereinbarungen betr. die Übernahme polizeilicher Aufgaben durch das Grenzwachtkorps abgeschlossen, was ebensowenig der Verfassung entspricht.

In einem Vernehmlassungsverfahren ist eine Änderung des Zollgesetzes vorgestellt worden, die darauf hinausläuft, dass das Grenzwachtkorps im ganzen Land (nach welchen Kriterien?) Polizeiaufgaben, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Kantone fallen, übernehmen können soll. In einem zweiten Vernehmlassungsverfahren über die Weiterentwicklung der Armee wird dargestellt, dass der grössere Teil der Armee künftig für die polizeiliche Gewährleistung der Sicherheit im Inneren des Landes zur Verfügung stehen soll. Explizit, so wird dargetan, sei das Subsidiaritätsprinzip nicht (mehr) zu beachten.

Alle diese Änderungen sollen ohne eine Teilrevision der Bundesverfassung bloss auf der Stufe von Bundesgesetzen vorgenommen werden, was in undeutlicher Weise bereits im Bericht des Bundesrates zum Postulat Malama angetönt worden ist. Im beigefügten Aufsatz wird belegt, dass beide Vorschläge in fundamentalere Weise der Bundesverfassung in mehrerer Hinsicht widersprechen. Ohne eine diesbezügliche Verfassungsänderung würde das Demokratieprinzip gravierend verletzt.

Polizeiliche Unterbestände könnten jedoch auch verfassungskonform durch Kantone und Städte in Eigenverantwortung zumindest für Spitzenbelastungen ausgeglichen oder doch gemildert werden: Freiwillige Polizeidienste, wie sie sich in andern europäische Staaten bewährt haben, bildeten eine kostengünstige Alternative zu den bisherigen der BV widersprechenden Praktiken und Vorschlägen.

Der Aufsatz Ungenügende Polizeibestände erschien im Heft 2/2013 (September 2013) des Fachorgans Sicherheit&Recht (Dike Verlag, Zürich/St. Gallen).

Weiterentwicklung der Dienstpflicht

Auch (oder gerade) nach der Ablehung der Volksinitiative zur Abschaffung der Militäridenstpflicht stellen sich Fragen rund um die Ausgestaltung von Dienstpflichten. "CHANCE MILIZ" stellte an der Versammlung vom 25. Oktober 2014 in Luzern die Frage nach der Weiterentwicklung der Dienstpflicht: Wie viel Zwang braucht unsere Sicherheit?

Nach einer Einführung durch Br Daniel Keller und einem Referat von KKdt André Blattmann diskutierten in einem ersten Panel

- Dominik Walliser, Kommandant Rettung Basel-Stadt
- Christoph Flury, Stv. Direktor BABS
- Reto Müller, Lehrbeauftragter für Sicherheits- und Polizeirecht

Ein andschliessendes zweites Panel hatte den Fokus auf der Politik. Es diskutierten

- Susanne Hochuli, Regierungsrätin Grüne/AG
- Beat Flach, Nationalrat GLP/AG
- André Blattmann, CdA

Aus rechtlicher Sicht bilden der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 8 Abs. 1 BV) sowie das Verbot der Zwangsarbeit (Art. 4 EMRK) - wenn auch eher abstrakte - Grenzen. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssten sich zwangsweise durchsetzbare Bürgerpflichten am jeweiligen Zweck und der Intensität des Eingriffs in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger messen lassen.

Eine Zusammenfassung des Anlasses findet sich anbei.

Bild: Chance Miliz

Verfassungsrechtliche Ignoranz?

Die von den Räten bereits beschlossenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung (MG; Geschäft 14.069) stehen teilweise im Widerspruch zu bindenden Verfassungsbestimmungen. Verfassungsrechtliche Fragen wurden vertieft nicht behandelt. Das Parlament scheint sich um solche verfassungsrechtliche Vorgaben nicht zu kümmern, wie wohl eine Initiative gerade die Verfassung die obersten Rechtsquelle sein soll. Ein kurzer Überblick dazu in einem Beitrag in der Allgemeinen schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ) 12/2015.

Konkordate und Föderalismus im Sicherheitsbereich

Vom Flickenteppich zum Scherbenhaufen.

Konkordate sind ein unverzichtbares Rechtsinstitut des horzontalen Föderalismus. Der Umgang mit der Komplexität des Föderlismus (Denis de Rougement) erweist sich jedoch als anforderungsreich und gelingt aus unterschiedlichen Gründen nicht immer. Ein Grund ist der viel kritisierte "Kantönligeist", der zu einem "Laubsägeliföderalismus" führen kann. Ein Musterbeispiel sind die bisher gänzlich missratenen Anstrengungen zur unbestritten notwendigen Regulierung der privaten Sicherheitsunternehmen. Zwei bei weitem nicht deckungsgleiche Konkordate, denen - im deutschschweizerischen Gebiet - lange nicht alle Kantone beigetreten sind, dazu einzelne (selbstverständlich unterschiedliche) kantonale Gesetzgebungen und Kantone, die von jeglicher Regelung Abstand nehmen wollen, sind derzeit das Ergebnis. Das führt insbesondere, aber nicht nur, für die Sicherheitsbranche zu einer unzumutbaren Rechtslage, ebenso aber auch zu einem unnötigen enormen Administrationsaufwand auf staatlicher und privater Seite. Die Legiferierung über die privaten Sicherheitunternehmen fällt unter die kantonale Polizeihoheit. Umgekehrt drängt sich eine für die ganze Schweiz einheitliche Regelulng auf. Obwohl der Bund die Befugnis hätte (Art. 95 Abs. 1 BV), hält er hier sich zurück, so lange nicht die Kantone selber eine Bundesregelung vorschlagen. Gesamtschweizerische Konkordate umgekehrt sind schon aus demokratierechtlicher Perspektive wenn auch nicht unzulässig, so doch problematisch.

Die aktuelle Rechtslage und die damit auch zusammenhängende Frage der Respektierung des staatlichen Gewaltmonopols war das Thema der Delegiertenversammlung des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) vom 10. Juni 2016. Markus Mohler hat die ihm gestellten Fragen in einem Kurzreferat zu beantworten versucht.

10vor10: Türkischer Aussenminister auf innenpolitischer Mission

In der Türkei steht ein wichtiges Verfassungsreferendum an. In Deutschland und der Schweiz sind türkische Politiker unterwegs, um für eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten zu werben. Sie treten an öffentlichen oder halb-öffentlichen Anlässen auf und sprechen primär zur türkischen Diaspora.

In Deutschland – und nun auch in der Schweiz – wird diskutiert, solche Auftritte oder Anlässe insgesamt zu verbieten. Politiker argumentieren damit, für „türkische Propaganda“ gebe es keinen Platz oder die Sicherheit der Veranstaltungen könne nicht gewährleistet werden.

Wenn völkerrechtlich besonderes geschützte Personen wie die Minister einer Regierung ein anderes Land besuchen, hat das Gastland besondere Vorkehren zu treffen. Die Eidgenossenschaft ist Partei der entsprechenden völkerrechtlichen Verträge – innerstaatlich stehen die Kantone bei der Umsetzung in der Pflicht (Polizeihoheit). Für einen Kanton kann es (personal-) aufwendig, anspruchsvoll und teuer sein, die nötigen Sicherheitsdispositive anzulegen und umzusetzen. Gleichwohl kann es in einer normalen Lage kein Grund sein, einen Besuch zu verbieten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn beispielsweise konkrete Anschlagspläne bekannt sind oder wenn in der Schweiz gewalttätige Auseinandersetzungen stattfinden.

Für politische Anlässe in der Schweiz, welche die türkische Innenpolitik zum Inhalt haben, gilt die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Diese Grundrechte gelten allgemein für alle Menschen (nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer) und ungeachtet des Inhalts. Es gibt rechtlich keine Unterscheidung zwischen „unzulässiger Propaganda“ und „wohlgefälligen Meinungen“. In der Schweiz darf man den türkischen Präsidenten Erdogan toll finden, man darf ihn aber auch kritisieren oder keine Meinung zu ihm haben. Zwar kennt die Schweiz eine Anti-Rassismuss-Strafnorm, doch ist eine Vorzensur in jedem Falle unzulässig (Kerngehalt der Kommunikationsgrundrechte).

Zwar können Veranstaltungen mit Auftritten türkischer Politiker in der Schweiz allenfalls mit Auflagen versehen werden (welche zu begründen wären) – präventiv verbieten darf man sie aber nicht. Kommt es zu Auseinandersetzungen, gilt das Störerprinzip: Massnahmen haben sich gegen die Störer zu richten - und nicht gegen diejenigen Personen, welche es zu schützen gilt.

Umgekehrt müssen ausländische Politiker in der Schweiz aber nicht vor missliebigen Meinungen Dritter geschützt werden. So sind beispielsweise auch Kundgebungen gegen solche Auftritte zulässig – allerdings können die Behörden zur Gewährleistung der Sicherheit und zum Ausgleich allenfalls konfligierender Rechtsgüter Auflagen machen (z.B. indem Abstände eingehalten werden müssen).

Wollte man an dieser Situation etwas ändern, müsste ein „Versammlungsgesetz“ erlassen werden (solche gibt es insbesondere in Deutschland). Bislang war der Erlass eines solchen Gesetzes in der Schweiz völlig zurecht nicht verlangt worden.

Nachrichtendienstgesetz als Kröte schlucken?

Das Nachrichtendienstsgesetz des Bundes (NDG), über das am 25. September 2016 abgestimmt wird, verleiht dem Nachrichtendienste des Bundes Möglichkeiten der geheimen Nachrichtenbeschaffung, mit denen massiv die Privatsphäre eingedrungen werden kann. Besondere Problematik: die Kabelaufklärung.

In einem Beitrag in der NZZ on line vom 7. September 2016 von Markus Mohler werden die verschiedenen Argumente pro und contra einander gegenübergesetellt. Die Redaktion der NZZ hat den Titel dabei geändert, womit diese Kurzaussage ohne die notwendige Herleitung wie im Text als zynisch missverstanden werden könnte.

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Weiterentwicklung der Armee: Gutachten Prof. Rainer J. Schweizer

Im Auftrag von Bundesrat Maurer erstellte Prof. Rainer J. Schweizer ein Gutachten zu den verfassungs- und völkerrechtlichen Anforderungen an die Verteidigungskompetenz der Armee. Dabei geht es zentral um die Frage, welche rechtlichen Vorgaben gegen eine (finanzpolitisch determinierte) zu starke Verkleinerung der Armee sprechen.

Debatte zum Nachrichtendienstgesetz

Tagesgespräch Radio SRF 1: Markus Mohler zum neuen Nachrichtendienstgesetz

Die Balance von Freiheit und Sicherheit würde mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz in übertriebenem Mass zu Ungunsten der Freiheit verschoben, sagt der ehemalige Basler Polizeikommandant und Lehrbeauftragte für Sicherheitsrecht Markus Mohler im Tagesgespräch bei Radio SRF 1.

SRF - Echo der Zeit, 16. März 2015

Zur gleichen Thematik hat das "Echo der Zeit" einen Beitrag gesendet. Im Anschluss an die Berichterstattung über die Parlamentsdebatte folgen Einschätzungen von Dr. Hans Wegmüller (ehem. Direktor des SND) sowie von Prof. Dr. Rainer J. Schweizer.