Die Schweizer Strafjustiz in der Krise
(von Markus Mohler)
Die Bundesanwaltschaft steht in der interessierten Öffentlichkeit seit mehreren Jahren unter Beobachtung. Auffällig waren die mehrfachen Zurückweisungen von Anklagen wegen Verletzung des Akkusationsprinzips, das Schweigen hinsichtlich mehrerer grosser und bekannter Wirtschaftsstraffälle mit Bezug zur Schweiz (Glencor, 1MDB, Petrobras/Odebrecht, Banca della Svizzera Italiana, Julius Bär), die Personalfluktuation unter den Staatsanwälten und schliesslich die (mindestens) drei Treffen des Bundesanwalts mit dem FIFA-Präsidenten Infantino im Zusammenhang mit fussballbezogenen Verfahren. Diese Treffen hätten geheim bleiben sollen, sie fanden in Restaurants statt und wurden nicht protokolliert, obwohl Infantino selber Parteivertreter als auch persönlich Interessierter war. Das waren schwerwiegende Verstösse gegen die StPO. Zuletzt kam es wegen der Befangenheit Laubers zu Einstellungen (Fall gegen vier Beschuldigte des deutschen Fussballbundes).
Nach der Einleitung einer Disziplinaruntersuchung betr. Lauber durch die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) im Mai 2019 folgten Schimpftiraden des Bundesanwalts gegen die AB-BA. Trotz erheblicher Kritik und Zweifel an der Amtsführung des Bundesanwalts wurde er im September 2019 (in einem formell gesetzwidrig durchgeführten Wahlprozedere) von der Bundesversammlung knapp wiedergewählt. Zuvor hatten sich der Präsident der KKJPD am 24. August 2019 und die Schweizerische Konferenz der Staatsanwälte SSK (deren Vizepräsident Lauber war und ist) am 6. September 2019 für dessen Wiederwahl in Medienmitteilungen ausgesprochen.
Die zuständigen parlamentarischen Gremien, die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) und die Gerichtskommission (GK) tun sich schwer mit dem Fall. Die GK hat nach langem Zögern nun beschlossen, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, will aber bis zum Einreichen des Antrags an die Bundesversammlung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über das Disziplinarverfahren, gegen das der Bundesanwalt Beschwerde eingereicht hat, zuwarten. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist aber nicht vor ende Oktober zu erwarten; sollte dessen Entscheid ans Bundesgericht weitergezogen werden, dauerte alles noch 10-12 Monate länger. Nichtsdestotrotz ist die GK nicht bereit, dem Parlament die Freistellung des Bundesanwalts zu beantragen.
Nun hat die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern den parlamentarischen Gremien beantragt, i.S. Lauber/Infantino die Einleitung eines Strafverfahrens und die Einsetzung eines a.o. Staatsanwaltes zu prüfen. Aufgrund der erheblichen Verdachtslage ist die Ermächtigung zur Einleitung dieses Verfahrens unumgänglich. Zuständig für die Aufhebung der Im munität sind die Immunitätskommission des NR bzw. die Rechtskommssion des SR (Art. 14 des Verantwortlichkeitsgesetzes/Art. 33cter GRN/Art. 28a GRS). Stimmen die beiden Kommissionen überein, können sie der Bundesversammlung die vorläufige Einstellung im Amt beantragen (Art. 14 Abs. 5 VG). Eine Nichterteilung der Ermächtigung (bzw. Aufhebung der Immunität) verstiesse umgekehrt direkt gegen Art. 5 Abs. 2 BV («Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht»), fundamentale Bestimmung der Rechtsstaatlichkeit.
Nachfolgend einige Artikel der letzten Zeit in den Medien